Was braucht ein guter Outdoor Erste Hilfe Kurs?

Auf diese Frage zu antworten, ist schwieriger, als du am Anfang denkst. Beginnen sollten wir mit den Zielen, was so ein Erste Hilfe Kurs am Ende leisten muss. Laut dem Royal College of Surgeons in Edinburgh gibt es 3 Level von Abgeschiedenheit, welche mit der Evakuierungszeit in ein Krankenhaus definiert werden. Unter 4 Stunden, 4-8 Stunden und über 12 Stunden sind die Zeitgrenzen, bis wann du mit deinem Patienten ein Akutkrankenhaus erreicht haben solltest.

Die meisten Kurse in Deutschland beschränken sich inhaltlich auf Level 1, mit Evakuierungszeiten bis 4 Stunden. Das macht natürlich Sinn, weil es für den Großteil europäischer Gebiete in Kombination mit gutem Wetter ausreichend ist. Bei Hinterland Medics finden wir uns zusammen mit vereinzelten deutschen Anbietern, bei Level 2 und den 4-8 Stunden Evakuierung wieder. Perspektivisch schielen wir gierig Richtung 12 Stunden. Allerdings steigt mit jeder zusätzlichen Stunde Evakuierungszeit die Anforderung an die medizinische Fachkompetenz exponentiell an. Das sprengt schnell den (Zeit-) Rahmen, was wir noch unter „Kurs“ definieren würde.

Gleichzeitig haben Merten und ich das Ziel noch konkretisiert: Wir wollen, dass du nicht schadest, du im Verlauf Folgeschäden minimierst und schlaue Entscheidungen triffst. Ebenfalls wollen wir, dass du weißt, wann du nicht mehr helfen kannst und durchhältst, bis zusätzliche Hilfe verfügbar ist. Nachdem wir unser Kompetenzziel definiert haben, kommen wir auf 4 elementare Bestandteile eines jeden Outdoor Erste Hilfe Kurses: Grundlagenwissen, Struktur, Evidenz und die Fähigkeit zur kreativen Problemlösung.

 
Grundlagenwissen

Wir orientieren uns für das notfallmedizinische Wissen an der Rettungssanitätsausbildung in Deutschland. Diese Minimalqualifikation findet sich auf deutschen Rettungswägen wieder und enthält das Mindestmaß an Notfallkompetenz. Das Ganze wird jetzt noch an unsere Situation im Outdoor Kontext mit wenig Ressourcen angepasst, und mit einer gehörigen Portion allgemeinmedizinischer Fertigkeiten erweitert. Schließlich will uns ja nicht alles draußen sofort umbringen. Um jetzt dieses Wissen zu komprimieren, bedienen wir uns einiger Tricks. Zum Beispiel, wenn es verschiedene Krankheitsbilder zu einem Organ gibt, die alle unterschiedliche Symptome haben. Dann erklären wir die Funktion des Organs, wodurch du ableiten kannst, wie sich die Symptome äußern. Herzprobleme können sich sowohl mit angeschwollenen Unterschenkeln, Wasser in der Lunge oder mit einfacher Leistungsschwäche äußern. Wenn du ungefähr weißt, wie der Herzkreislauf funktioniert, machen diese Symptome auf einmal auch alle Sinn. Anders ist es, wenn die Probleme offensichtlich sind und kein tieferes Verständnis bedürfen. Zum Beispiel bei einer Allergie erklären wir euch, auf welche Symptome du achten musst. Dabei streifen wir nur die ursächlichen Prozesse, ergibt sich aus ihnen für die Behandlung kein Mehrwert. Um im Vorhinein so zu sortieren, muss man als Ausbilder allerdings ein sehr umfangreiches Hintergrundwissen und einen breiten Erfahrungsschatz haben. Denn der Grat, ein Thema zu optimieren, ohne etwas Wichtiges wegzulassen oder es zu vollzustopfen, ist ein schmaler, auf dem wir selbst oft noch balancieren üben.

Überprüfung

Um generell bei Anbietern zu überprüfen, ob das vermittelte Wissen ausreichend ist, frag nach, an welchem Ausbildungsstand sich die Inhalte orientieren. Dabei musst du ausloten, ob der Ausbildungsstand für dein Vorhaben vielleicht etwas zu niedrig wäre. Beispielhaft wäre der Erste Hilfe Kurs für den Führerschein. Dieser ist für 2 Wochen Wilderness in Alaska wahrscheinlich nicht ausreichend. Oder aber ob die Kurs-Versprechen utopisch sind. Man vermittelt in 3 Tagen auch keine ärztlichen Behandlungsstandards an Laien.

 

Struktur

Diesem Punkt möchte ich eine kleine Anekdote voranstellen. Ich hatte vor kurzem ein Seminar, bei dem es darum ging, was Ärzte in Krankenhäusern am meisten an ihren Studenten nervt. Es war die fehlende Effizienz der Studenten in ihrer täglichen Arbeit. Und tatsächlich kann ich aus meinem Unialltag berichten, dass wir jedes Semester einfach mit einer unüberschaubaren Menge an Wissen beworfen werden, in der Hoffnung, es bleibt schon irgendwas kleben. Feste Handlungsabläufe oder qualitative Zusammenfassungen sucht man vor den Klausurwochen oft vergebens. Das gleiche Problem hat man auch bei qualitativen Erste Hilfe Kursen. Denn das Wissen, was man vermitteln möchte, würde für wochenlangen Unterricht ausreichen. Gleichzeitig bringt jede Art von Komprimierung auch Unordnung mit sich. Das hat man in der Medizin erkannt und angefangen, mit Algorithmen Klarheit zu schaffen. Unglücklicherweise gibt es heute auch wieder hunderte dieser Handlungsschemen ( xABCDE, ISOBAR, SAMPLER, OPQRST, um nur mal ein paar Beispiele zu nennen), dass das auch schon wieder unübersichtlich wird. Wir haben das aktuell so gelöst, dass wir uns mit vielen Inhalten auf die Prävention stürzen. Was euch nicht passiert, müsst ihr nicht wegarbeiten. Ich würde schätzen, dass mehr als die Hälfte unserer Inhalte sich darauf beziehen, Probleme zu entschärfen, bevor sie euch lawinenartig überrollen. Das liegt zum einen daran, dass man hier mit jedem Level an Erfahrung sehr einfach wirken kann und man Prävention in der Regel nicht im Tunnelblick unter dem Stress seines Lebens durchführt. Sollte es doch einmal dazu kommen, beschränken wir uns im Notfall auf eine Abkürzung, die ihr im Kurs so oft durcharbeiten müsst, bis ihr den Algorithmus im Kanon singen könnt. Das xABCDE Schema priorisiert medizinische Handlungen und dient als Entscheidungshilfe bei strategischen Fragen. Ebenfalls verhindern es Leerlauf, der in Krisensituationen einfach nie gut ist.

Überprüfung

Die vermittelte Struktur in einem Outdoor Erste Hilfe Kurs im Vorfeld einzuschätzen, ist schwer. Check ab, wer an der Kurserstellung beteiligt ist. Ärzte sind immer schon mal gut, aber kein alleiniger Qualitätsgarant! Idealerweise sind auch Pädagogen, Leute mit Outdoorerfahrung, Physiotherapeuten, Psychologen, etc. an der Kurserstellung beteiligt. Weiterhin wäre es wichtig, ob irgendwo in den Kursinformationen generell mal auf Pädagogik verwiesen wird. Es fällt auch auf, dass Anbieter, die sich eine Platte um ihre Kursstruktur machen, das neben dem vermittelten Wissen ebenfalls in ihrem Kursangebot verschriftlichen und das immer ein gutes Zeichen ist!

Evidenz

Evidenz beschreibt Wissen, welches durch Beobachtungen aus reproduzierbaren Experimenten gewonnen wird. Es gibt also ein objektives Ursache-Wirkung-Prinzip. Diese Erkenntnisse werden dann zum Beispiel in Behandlungsleitlinien zusammengefasst. Diese bilden bei uns die Grundlage des vermittelten Wissens und dienen gleichzeitig als Standard zur Qualitätssicherung. Für unseren traumatischen Teil beziehen wir uns zum Beispiel hauptsächlich auf die S3 Polytrauma Leitlinie (1) sowie die Erste Hilfe Leitlinien des ERC (2). Diese hat als Metastudie (vereinfacht: Viele Einzelstudien wurden zusammengenommen und gemeinsam ausgewertet) den höchsten Evidenzgrad. Übersetzt heißt das, dass man sich sehr sicher ist, dass die in der Leitlinie beschriebenen Handlungen das beste Endresultat für den Patienten bedeuten. Viele Problemstellungen der Expeditions- und Wildnis Medizin sind für die Weltbevölkerung allerdings nicht so relevant, dass es für sie breit angelegte Metastudien gibt. Hier berufen wir uns auf einschlägige Fachliteratur, Studien und Fallberichte der Wilderness Medical Society, WHO oder Artikel anerkannter Experten auf diesem Gebiet. Schlussendlich gibt es vereinzelte Inhalte, die auf unseren eigenen Erfahrungen beruhen und sich manchmal sogar von den vorangegangenen Empfehlungen abheben. Das liegt zum einen daran, dass sich die meisten Leitlinien in einem klinischen Setting abspielen. Leider haben wir draußen nur selten einen sterilen OP-Raum zur Verfügung oder aber müssen die medizinischen Maßnahmen mit taktischen Entscheidungen verbinden, weil mehr Faktoren wie Wetter oder die Nähe zur Zivilisation in die Entscheidung einfließen. Diese Abweichungen kennzeichnen wir entsprechend und weisen auch darauf hin, dass für uns an diesen Stellen ein anderes Vorgehen bessere Ergebnisse erzielt hat. Wir sind aber auch an diesen selten auftretenden Punkten bemüht, uns den Empfehlungen so weit es möglich ist anzupassen.

Überprüfung

Die Evidenz lässt sich im Gegensatz zur Struktur recht einfach überprüfen. In der Regel geben seriöse Anbieter an, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage ihre Kurse aufgebaut sind, kommunizieren auf ihrer Website wichtige Änderungen in Leitlinien oder reagieren wertschätzend auf Anfragen, in denen nach den zugrunde liegenden Informationsquellen gefragt wird.

 
Finden kreativer Problemlösungen

Wenn die vorangegangenen drei Punkte gut im Kurs abgebildet sind, führen diese zwangsläufig dazu, dass du Problemen sowohl vom Stresslevel, als auch von deiner Handlungskompetenz kreativ begegnen kannst. Denn selten gleicht ein Notfall dem anderen und die unüberschaubare Anzahl einfließender Faktoren führt dazu, dass es in vielen Fällen nicht die Standardlösung gibt. Merten und ich finden es wichtig, dass du nach dem Kurs in der Lage bist, dein Wissen auf das jeweilige neue Problem zu übertragen. Im Alltag werden uns in vielen Lebensbereichen häufig schon fixe Lösungswege vorgegeben, was unsere Fähigkeit generell einschränkt, selbst „out of the box“ zu denken. Im Kurs gehört aber diese Fähigkeit elementar zum Überwinden von kritischen Situationen dazu. Deswegen lassen wir deinem kreativen Denken sowohl in der Wissensvermittlung, dedizierten Übungen, als auch bei der Durchführung von Notfallszenarien viel Freiraum. Wir wollen ja, dass du schlaue Entscheidungen triffst.

Überprüfung

Bei der Überprüfung dieses Punktes bist du selbst gefragt. Das Finden von Problemlösungen ist individuell sehr verschieden, steigt mit wachsender Erfahrung und hängt stark davon ab, was deine ursprüngliche Motivation ist, einen Outdoor Erste Hilfe Kurs zu absolvieren. Wenn der Anbieter deiner Wahl allerdings die ersten drei Punkte erfüllt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch auf deine Selbstwirksamkeit Wert gelegt wird.

Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Artikel ein paar interessante Tipps an die Hand geben. Punkte, die dir helfen, dass du deinen nächsten Kurs besser aus den Angeboten heraussuchen kannst und er deine Erwartungen erfüllt. Es ist ein super spannendes Feld und ich kann dich nur beglückwünschen, dass du gerade deine Zeit damit verbringst, etwas tiefer in die Materie einzutauchen!

Vorbereitung des Patiententransports bei Erste Hilfe
Foto aus unserem Kurs: Vorbereitung zum Patiententransport
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