xABCDE: Prioritätenliste für Notfälle
Die Geschichte des xABCDE Schemas beginnt mit Peter Safar, der in den 50ern verschiedene Grundprinzipien der Herzlungenwiederbelebung etabliert hat. Unter anderem demonstrierte er an relaxierten Menschen (also Menschen, die dank Medikamente keinen einzigen Muskel mehr bewegen konnten) dass Mund-zu-Mund-Beatmung ein Ding ist und dass das Überstrecken des Kopfes einer bewusstlosen Person das Leben rettet, weil durch das Überstrecken die Zunge nicht mehr den Beginn der Luftröhre verdeckt (1). Sein Buch „ABC der Wiederbelebung“ legte den Grundstein sämtlicher Reanimationsleitlinien und führte dazu, dass die Herzlungenwiederbelebung flächendeckend ausgebildet wurde. Vor diesem Buch warst du hollywoodmäßig einfach tot, wenn du keinen Puls mehr hattest. Über die Zeit verfeinerte man das Schema zu ABCDE und stellte es unter die Schirmherrschaft des wohl berühmtesten Satzes der Trauma-Versorgung:
„Treat first, what kills first!“.
Die Buchstaben bezogen sich neben der Zeit, die es brauchte, um den Löffel abzugeben, gleichzeitig auf Organsysteme. A – Airways (Atemwege), B – Breathing (Beatmung), C – Circulation (Kreislauf), D – Disability (Nervensystem), E – Exposure (Exposition). Es gibt wenig, was dich mit sofortiger Wirkung ableben lässt. Abwesenheit von Sauerstoff ist eins davon. Und im ABCDE ging es darum, mit A und B Sauerstoff in den Körper hineinzubekommen. Denn nach ca. 4 Minuten ohne Luft geht es dem Gehirn schlecht und es reagiert mit rapidem Intellektverfall bzw. dem Absterben von Nervenzellen.
Fast 60 Jahre später hatte TJ Hodgetts dann die medizinischen Bemühungen des britischen Militärs zusammengefasst:
wo die schnelle Blutstillung immer weiter in den Fokus der Sofortbehandlung gerückt ist (2).
Denn selbst wenn wir Sauerstoff bis in die Lunge bekommen, braucht es immer noch Blut, um diesen bis zu den Endorganen zu transportieren. Das war zwar auch schon früher bekannt, deswegen gab es das C im Schema. Aber es hat eine Weile gedauert, um zahlenmäßig belegen zu können, dass die Überlebensrate nachweisbar steigt, wenn man schwere Blutungen direkt stillt. Geboren war das cABCDE Schema, welches wenig später in xABCDE umbenannt wurde. Zum einen, weil ein X einfach alles großartiger macht (fragt Elon Musk), zum anderen um Verwirrungen mit zwei verschiedenen C’s aus dem Weg zu gehen. Und zum dritten, um mit eXsanguation (=Ausblutung) auch innere Blutungen adäquat zu adressieren. Die können wir draußen zwar nicht stoppen, aber führen immer zur Entscheidung, so schnell wie möglich in die Klinik zu kommen.
Dieses Schema gibt es also schon seit über 50 Jahren. Ich würde wetten, dass alle Menschen schonmal davon gehört haben, die irgendwie eine Ausbildung mit notfallmedizinischen Themen genossen haben. Und das weltweit. Es scheint also wichtig zu sein und Probleme zu lösen. Und unserem Bildungsauftrag gerecht werdend, gehen wir die Buchstaben jetzt einmal einzeln durch.
xABCDE
Das x für eXsanguation ist stellvertretend für die Mutter aller Blutungen. Egal ob euch arterielle Fontänen entgegen sprühen oder venöse Blutungen das Rote Meer reinszenieren, hier gilt es, eine schnelle Blutstillung herbeizuführen. Denn im ungünstigsten Fall einer brutalen Oberschenkelverletzung habt ihr nur ein paar Minuten Zeit, um diese Blutung zu stillen, bevor die betroffene Person das Zeitliche segnet. Blutstillung sollte bis auf wenige Ausnahmen immer mit manuellem Druck und Druckverbänden herbeigeführt werden. Manueller Druck ist Fachsprech für: fester Druck mit Patschehändchen auf die Wunde. Und für all unsere Gottgesandten, Tourniquet schwingenden Über-Medics: der manuelle Druck ist in den allermeisten Fällen ausreichend. Man muss nicht immer gleich die gesamte Gliedmaße abbinden.
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Das A steht für Atemwege und führt immer wieder zu Verwirrung mit dem nächsten Buchstaben. Sehr vereinfacht geht es bei A nur um Mund und Luftröhre. Nicht um die Lunge selbst. Es steht an zweiter Stelle unseres Schemas, da wie oben erwähnt, unser Gehirn sich nach vier Minuten ohne Sauerstoff vernachlässigt fühlt und trotzig mit Zelltod reagiert. Neben Halsschwellungen unterschiedlichster Ursache interessieren uns hier auch Klassiker wie die Bewusstlosigkeit oder der Bockwursttod. Dabei steckt ein Fremdkörper in der Luftröhre, welcher zuerst durch kräftiges Klopfen zwischen die Schulterblätter und bei erfolglosem Klopfen durch Kompressionen des Oberbauchs entfernt werden soll.
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Ab B wird das Ganze ein bisschen kniffliger. Denn Beatmung dreht sich allgemein um alle Prozesse, die innerhalb der Lunge passieren. Und die können von einem Asthmaanfall über eine Lungenentzündung bis hin zu einer (Serien-)Rippenfraktur gestört werden. Aber erste Hinweise auf ein existierendes B-Problem erhält man, indem man sich anschaut, wie die betroffene Person atmet. Die Nachfrage „Bekommst du gut Luft?“, ist auch ein selten beachteter Trick, für den man nicht Medizin studiert haben muss. Und wenn die Antwort ein Satz ist, der mindestens einmal durch einen Zwischenatmer unterbrochen wird, können wir schon mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es sich hier um ein Problem innerhalb der Lunge handelt. Da kann man die betroffene Person schonmal mit dem Oberkörper hoch hinsetzen und sich dann überlegen, was es für eine Grundursache gibt und wie man sie beseitigen kann.
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C steht für Kreislauf und damit stellvertretend für das Herz und das Blutvolumen. Ist der Herzschlag zu schnell, zu langsam, werden alle Teile des Körpers noch gut durchblutet? Das sind Fragen, die es innerhalb dieses Abschnitts zu beantworten gilt. Auch hier stellt sich neben dem Erheben der Pulsfrequenz und der Durchblutungssituation die Befragung als hilfreiches Mittel heraus. Ob ein Schwindel vorherrscht oder der betroffenen Person kalt ist, sind oft Hinweise auf ein C-Problem. Auch ist Erfragen der Ursache eine gute Idee. Denn neben den langweiligen traumatischen Problemen, wo die betroffene Person irgendwo hin blutet, wo sie nicht hin bluten soll, können auch ein Herzinfarkt oder explosiver Brechdurchfall hinter einem Kreislaufproblem stecken.
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Bei Disability muss ich immer einer Situation aus meiner Ausbildung nach lachen. Dabei hatten wir Fallbeispiele simuliert und ich sollte einen älteren, verwirrten Schlaganfallpatienten spielen. Mein Kollege kam ins Zimmer und auf seine Frage, was denn passiert ist, maulte ich ihn nur an, dass ich Homer Simpson wäre und er mir gefälligst ein Bier bringen sollte. Ich weiß bis heute nicht, wer von uns beiden in diesem Moment mehr danach aussah, ein akutes neurologisches Problem zu haben.
Aber bei D geht es generell um das Gehirn und die Nervenbahnen. Klassiker, auf die man achtet, wären der oben genannte Schlaganfall, aber auch Wesensveränderungen bei Unterzuckerung oder nach einem Sturz auf den Kopf. Wenn man sich für den Bewusstseinszustand seines Gegenübers interessiert, ist es wichtig sowohl das quantitative Bewusstsein als auch die Qualität dessen zu überprüfen. Quantität ist, wie viel Bewusstsein die Person gerade hat. Also ist sie voll da, oder reagiert sie nur auf Ansprache oder Schmerzreiz. Die Qualität geht gut aus der Homer Simpson Anekdote hervor. Ich war zwar quantitativ voll da, aber die Qualität ließ zu wünschen übrig. Wenn Menschen nicht mehr orientiert sind, wo sie gerade sind, wann sie gerade sind (Monat reicht. Sonst hätte ja die Hälfte aller Studierenden ein D-Problem) und wer sie sind, dann sollte man den Weg Richtung Krankenhaus antreten, um die Grundursache zu beseitigen.
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Das Ende unseres Schemas bilden mit Exposition (oder Extra) all die Dinge, die nicht in die bereits vorgestellten Problemkategorien fallen. Ebenfalls sollte noch einmal eine ausführlichere Untersuchung der vorangegangenen Punkte stattfinden und Gedanken in Richtung Weiterbehandlung oder Evakuierung verwendet werden. Die wichtigsten medizinischen Vertreter wären thermische Störungen wie Hitzschlag und Unterkühlung. Und vor allem hier ein Hinweis an alle Helfenden: Denkt an den Wärmeerhalt. Denn unseren Patient:innen ist eigentlich immer kalt! Ausnahme sind die Hitzestörungen, aber ansonsten ist Wärmerhalt immer eine gute Idee!
Wenn ihr dieses Schema einmal durchgearbeitet habt, habt ihr die tödlichsten medizinischen Probleme gefunden und gegebenenfalls auch Erstmaßnahmen ergriffen. Jetzt ist es wichtig, in kontinuierlichen Abständen die Person erneut einzuschätzen. Denn Notfallgeschehen sind immer dynamisch und ändern sich im zeitlichen Verlauf. Aber das Geniale ist, zum Einschätzen benutzen wir einfach wieder das xABCDE Schema. Und wenn ihr selbst lernen wollt, wie das geht, schaut doch gerne mal bei unseren Kursen vorbei!